Schreinerei in Mädchenhand

Der Girls Day 2008 war ein voller Erfolg

von Carolin Wrede
Eine Schreinerei mitten in Solingen: Kurz vor der Mittagszeit ist vor der Werkstatt das schrille Kreischen der Kreissäge zu hören. Beim Öffnen der Tür ist der hohe Ton noch deutlich verstärkt. Und der süßliche Duft von Holzspänen und Staub vermischt mit einem Geruch nach Lack beweist: In dieser Schreinerei wird gearbeitet. Aber die wenigsten Arbeiter tragen Overalls oder derbe Arbeitshosen. Überwiegend sind Jeans zu sehen, Sportschuhe und modische Shirts.

Und statt gestandenen Männern pinseln an dem großen Arbeitstisch Mädchen roten Lack auf Holzsterne. Im Nebenraum trocknen bereits Umhängetaschen aus Biegeholz, die die Mädchen bereits lackiert haben. Nanu? Ein ungewöhnliches Bild. Aber es ist Girls Day, der Tag, an dem Mädchen Geschmack finden sollen an Männerberufen. Und 20 Mädchen haben der Einladung von Olaf Stühm angenommen und schnuppern Werkstattluft in Solingen.
„Wir durften uns im Internet einen Betrieb raussuchen, der uns interessiert“, erzählt Juliana. „Und auf
keinen Fall wollten wir nur Vorträge oder eine Schulung. Das hier ist genau richtig, hier können wir selber mit anfassen und mitarbeiten“ rgänzt Sarah ihre Freundin. Für diesen Tag haben die Mädchen der Klasse 8 allesamt schulfrei bekommen.
„Wir können halt mal schauen, ob solche Berufe für uns auch in Frage kommen“, erklärt Sarah. Solche Berufe - also Berufe, die nur selten von Frauen gewählt werden. Trotz besserer Noten beim Schulabschluss suchen die meisten Mädchen sich ihre Ausbildung nur in klassischen Bereichen. Einzelhandelskauffrau führt die Top Ten an, gefolgt von der Bürokauffrau, Friseurin und Verkäuferin.

„Und genau diesen Trend möchten wir stoppen“, erklärt Claudia Knorr , die sich bei der Solinger Agentur für Arbeit für Chancengleichheit einsetzt. „Wir werden
bald einen Fachkräftemangel in Deutschland haben. Und deshalb brauchen wir die Mädchen gut qualifiziert auch in den klassischen Männerberufen.“ Schreinermeister Olaf Stühm hat genau das schon längst erkannt.

Seit dem letzten Sommer arbeitet bei ihm in der Werkstatt Kristina Scherbakow als Azubi. Während die Mädchen eine kurze Mittagspause machen, erzählt die zwanzigjährige Kristina, wie sie zur Ausbildungsstelle gekommen ist. Eigentlich hat sie bei einem Zahnarzt eine Ausbildung machen wollen. „Aber das habe ich schnell abgebrochen. Und habe dann erst einmal einen Ein-Euro-Job gemacht. Das Schreinern fand ich spannend. Deshalb habe ich meinen Nachbarn gebeten, hier in der Schreinerei mal für mich nach einem Praktikumsplatz zu fragen.“

Und Olaf Stühm hatte nichts dagegen, im Gegenteil. Mädchen als Praktikantinnen hatte er schon einige - und immer hat er damit gute Erfahrungen gemacht. „Mädchen haben oft eine bessere Fingerfertigkeit, sind tüchtig, haben ein gutes Gefühl und sind für die Alter auch schon weiter.“. Und mit Kristina war er sehr zufrieden - so sehr, dass er ihr gleich noch eine Verlängerung des Praktikums anbot. Allerdings ohne Aussicht auf eine Azubi-Stelle. Denn die hatte er schon mit einem Mann besetzt.

„Aber dann habe ich es mir spontan anders überlegt und Kristina zusätzlich als Azubi eingestellt.“ Und bereut hat er diese Entscheidung noch keine Minute. Die Kunden, die er vor Ort mit Kristina besucht, sind begeistert, dass auch eine Frau als Tischlerin arbeitet. Und Kristina weiß es zu schätzen, dass sie eine super Ausbildungsstelle bei Olaf Stühm gefunden hat: „Hier wird noch alles gemacht. Oft spezialisieren sich Schreiner auf Türen oder bestimmte Möbel. Aber wir bauen maßgefertigte Schränke und entwerfen und bauen viele kreative Möbel und Wintergärten.“

Und ganz so ungewöhnlich ist es dann doch nicht, dass ein Mädchen Schreiner werden möchte. „In meiner Klasse in der Berufsschule sind acht Mädchen und ungefähr 20 Jungen.“

Kreativität und die Möglichkeit, sich immer mehr weiterzubilden ist etwas, was jeder Mitarbeiter in Stühms Schreinerei zu schätzen weiß. „Als Arzthelferin zum Beispiel hat man irgendwann alles gelernt und bleibt dann für den Rest des Berufsleben auf einem Stand stehen. Oft auch mit geringem Gehalt. Aber bei einem Handwerk wie Schreinerei eröffnen sich viele Möglichkeiten, sich mit Weiterbildungen zu spezialisieren. Viele machen sich auch selbständig und sind dann ihr eigener Chef. Das sind doch tolle Aussichten, oder?“ ermuntert Markus Fuhrmann die 20 Mädchen. Auf die Frage, was denn gegen eine Ausbildung als Schreinerin sprechen würde, gab es nur eine Antwort: „Ich weiss nicht, ob ich das kann. Aber das lässt sich ja während eines Praktikums klären“, erklärt Esther. Für die 20 Mädchen ist die Mittagspause vorbei. Jetzt steht „Werkstatt Live“ auf dem Stundenplan. Gemeinsam mit Stühms Mitarbeitern und Kristina wird ein Schrank gebaut. Holzplatten werden automatisiert zurechtgesägt. Und Löcher werden in die Schrankwände gefräst. Und schnell packen die Mädchen mit an:

Die Platten werden auf die Werkbank gehoben. Und mit Hammer und Schraubendreher wird erst vorsichtig und dann immer mutiger jede der zurechtgeschnittenen Schrankwände mit Dübeln und Schrauben versehen. Markus Fuhrmann, Geselle im Betrieb, lacht: „Ich muss ja nix mehr machen! Klasse!“ Und im Nu steht das fertige Möbelstück in der Werkstatt - schöner als jeder Schrank vom Möbeldiscounter.
„Finger alle noch dran?“ fragt Olaf Stühm. Klar, nur eine kleine Schramme auf dem Handrücken ist zu beklagen. Und auch das festgesetzte Klassenziel vom Morgen ist erreicht bestätigt Juliana: „Wir hatten Spaß!“

Und beim Verlassen der Werkstatt sind die Mädchen ein bißchen verstaubt und stolz, aber vor allem auch schick: Denn ihre Sterne und die selbst lackierten Taschen aus Holz durften sie alle mitnehmen.

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Autor: Carolin Wrede/ jaau-nrw.de, 2008
für das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales …